Sich erinnern bedeutet auch: an die Zukunft denken

Ein Rückblick von Bettina Finzel auf die Ausstellungseröffnung „Überwindung der Todesmauer“ vor dem Hintergrund der aktuellen Flüchtlingsdebatte.

In der aktuellen Diskussion um die Aufnahme, Verteilung und Integration von Flüchtlingen wird das Funktionieren der Europäischen Union immer wieder hinterfragt. Die EU sieht eine gemeinsame Asylpolitik der Mitgliedsstaaten vor, doch eine eindeutige Antwort auf die Frage „Wird die EU, trotz ihrer strukturellen und kulturellen Vielfalt, zu einem Konsens kommen?“ gibt es nicht.Ein Blick auf die EU-Politik zeigt, dass es der Europäischen Union ein Anliegen ist, die Bewegungsfreiheit ihrer Bürger zu fördern, im Sinne der Möglichkeit in allen Mitgliedsländern leben und arbeiten zu dürfen ohne ein Visum oder einen Asylantrag zu benötigen. Dies bedeutet einen enormen Vorteil für die Menschen, die in der EU leben.

Doch diese Freiheit gab es nicht immer. Dies verdeutlicht uns aktuell die am 9. März im Thüringer Landtag eröffnete Ausstellung „Überwindung der Todesmauer“ des Vereins Pamět (aus dem Tschechischen: Erinnerung). Die Ausstellung informiert anhand von Texten und Fotografien sehr eingehend über Schicksale von denjenigen Menschen, die ihrem Wunsch nach Freiheit gefolgt waren und bis zur Revolution 1989 auf unterschiedlichste Art und Weise versucht hatten, den Eisernen Vorhang in der damaligen Tschechoslowakei zu überwinden.

Eröffnet wurde die Ausstellung durch den Thüringer Landtagspräsidenten Christian Carius. Dieser bemerkte in seiner Ansprache, dass einige Errungenschaften, wie etwa der Zerfall des Eisernen Vorhangs erst dadurch möglich geworden waren, dass sich Menschen gegen Einschränkungen gewehrt oder sogar Opfer erbracht hatten. Er betonte in Bezug auf die Ausstellung „Überwindung der Todesmauer“ die Wichtigkeit der Wertschätzung von menschlicher Würde. Des Weiteren sprach er seine Freude darüber aus, dass dieses Projekt in Zusammenarbeit tschechischer und deutscher Akteure entstanden war.

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Die Konsulin der Tschechischen Republik in Dresden, Ing. Eva Reinöhlová, erklärte, in Anbetracht der auf den Stellwänden dargestellten menschlichen Fluchtversuchen trotz elektrischer Zäune, Mauern und Flüssen, dass Freiheit nichts Alltägliches und somit nichts Selbstverständliches sei. Miroslav Kasáček, einer der Autoren des Projekts, bezeichnete die Mauern und Grenzen nicht nur als Symbol einer geteilten Welt, sondern auch als Orte des Mutes und der Bereitschaft ein Risiko einzugehen, um in den Westen zu gelangen. Eine Mauer könne die Sehnsucht nach Freiheit nicht beschränken.

Diese Aussage bestätigen die beschriebenen und durch Fotografien illustrierten Lebensgeschichten. Eines der erschütterndsten Schicksale ist dem 18-jährigen ostdeutschen Flüchtling Hartmuth Tautz widerfahren. Beim Versuch in der Nähe der Pressburger Petržalka in den Westen zu gelangen, erfassten ihn zwei selbständig agierende Hunde der Wachposten und töteten ihn durch zahlreiche Bisse. Eine Familie entkam, indem sie sich in den Unterbau eines Bettes einnähen ließ, das über die Grenze transportiert wurde. Die Ausstellung zeigt auch verschiedene Versuche der Menschen fliegend in die Freiheit zu gelangen. Zeitungsartikel berichten von Flügen mit dem Heißluftballon oder selbstgebauten Flugmaschinen.

Das durch den Deutsch-tschechischen Zukunftsfond unterstützte und vom Verein Pamět realisierte Projekt wurde von Miroslav Kasáček und Luděk Navara inhaltlich konzipiert. Dabei verwendeten sie Materialien des Archivs der Staatssicherheit, des Nationalarchivs und aus Privatarchiven, um Interessierten einen tiefen Einblick in die damaligen Zustände zu gewähren. Die tschechische Fassung der Ausstellung hat Frau Dr. Eugenie von Trützschler ins Deutsche übersetzt. Sie ermöglicht somit allen deutschen Besuchern eine Auseinandersetzung mit der Geschichte des Nachbarstaates Tschechien und der Slowakei. Die Ausstellung wird als Wanderausstellung in unterschiedlichen Städten der Bundesrepublik zu sehen sein und kann noch bis zum 3. April 2016 im Thüringer Landtag besucht werden.

Die Ausstellung hat mir gezeigt, wie kostbar und bedeutsam zugleich ein freies und selbstbestimmtes Leben ist. Aus unserer eigenen Geschichte heraus sollten wir Verständnis für diejenigen Menschen entwickeln, die auf der Suche nach Freiheit sind und hierfür Risiken in Kauf nehmen. In der EU, einem Staatenbündnis mit bislang offenen inneren Grenzen, sprechen sich aktuell manche Staaten für die Wiedereinführung von Grenzen aus. Sollten wir nicht eher ein stärkeres Bewusstsein für menschliche Schicksale entwickeln, uns der Welt wieder mehr öffnen und Flüchtlingen einen menschenwürdigen Empfang bereiten? Ein Blick in die Vergangenheit kann uns dabei unterstützen, offener und hilfsbereiter zu werden. Die Wahrung der Menschenwürde sollte unser Konsens sein.

Bettina Finzel

Sprecherin des Deutsch-tschechischen Jugendforums, nahm am 9. März 2016 an der Eröffnung der Ausstellung “Überwindung der Todesmauer” teil.

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